Du fühlst dich eigentlich sehr wohl an deinem Arbeitsplatz: Die Kollegen sind nett, deine Aufgabe ist herausfordernd und interessant, das Gehalt stimmt und Urlaub hast du auch genug. Aber eine fertig getippte Kündigung liegt trotzdem auf deinem Schreibtisch und wartet darauf eingereicht zu werden…
Vielleicht weil dein Chef ein Arschloch ist?
Mir hat das Buch Der Arschlochfaktor vor Jahren zum ersten Mal bewusst gemacht, was ein Arschloch im beruflichen Kontext eigentlich genau ist. Das Buch beschreibt darüber hinaus wie man sie erkennt, los wird und vermeidet.
Im Folgenden möchte ich persönliche Erfahrungen aufzeigen, wie ich dieser Problematik in meinem bisherigen Berufsleben begegnet bin, wie mich das geprägt hat und wie ich mit der Thematik heute umgehe.
Im Folgenden also zwei Beispiele mit meinen persönlichen Erfahrungen und ein Hinweis der mir sehr wichtig ist:
Diese Beispiele beziehen sich auf reale Personen und Unternehmen, die ich hier nicht beim Namen nennen werde und ich möchte auch nicht, dass jemand anderes dies tut. Primär aus dem Grund, dass sich diese Erfahrungen auf einen bestimmten Zeitraum beschränken: Menschen und Umstände ändern sich und Bewertungen sind immer subjektiv. Des einen bester Freund kann einem anderen Menschen das größte Arschloch sein!
Das subtile Arschloch
Das Setting ist ein kleines Unternehmen, es steht eine große personelle wie räumliche Veränderung an und so wird eine neue Führungskraft für einen Bereich des Unternehmens gesucht. Der Bereich ist bereits durch eine Führungskraft (f.f. Teamleiter) abgedeckt, die Geschäftsführung (f.f. Management) entscheidet ohne vorherige Rücksprache einen Kandidaten einzuladen. Spontan wird der derzeitige Teamleiter doch zum Interview bestellt und gibt später die Empfehlung, den Kandidaten nicht einzustellen. Die fachlichen Fähigkeiten seien zwar sehr gut, soziale Kompetenz und Company-fit sind jedoch nicht zu erkennen. Beim Management hat der Kandidat einen guten Eindruck gemacht und seine Verhandlungsposition gestärkt, indem die Übernahme eines kleinen Teams in Aussicht gestellt wurde.
Zwischenzeitlich sprach sich die Personalie herum und im Unternehmen sowie im direkten Umfeld wird Kritik an der geplanten Einstellung geäußert. Ehemalige Arbeitgeber gaben bedenkliches Feedback und ehemalige Kollegen äußerten sich ebenfalls entsprechend.
Das Management entscheidet den Kandidaten zu sofort einzustellen, mit einem alternativen Jobtitel und erweiterten Privilegien um das Recruiting voran zu treiben.
Im darauf folgenden Projekt leistet der Kandidat hervorragende Arbeit. Das Projekt liegt gut im Zeitrahmen, die Qualität ist gut und das Budget wird – bisher – eingehalten. Im Verlauf wird der Ruf nach teuren Extra-Services laut. Anders als Andere im Unternehmen, benötigt der Kandidat einen hohen Verfügungsrahmen um agieren zu können, neues Equipment und erweiterte Privilegien. Alles wird gewährt.
In Abwesenheit des bisherigen Teamleiters werden Gespräche mit dem bestehenden Team geführt in denen sich der Kandidat als neue Führungskraft ausweist und ankündigt das bisherige Team zu evaluieren. Unsicherheit macht sich breit und wird regelmäßig gegenüber dem Teamleiter sowie dem Management geäußert. Der Kandidat wird mehrfach ermahnt und reagiert letztendlich durch Rückzug in sein Projekt.
In den folgenden Wochen und Monaten eckt der Kandidat durch unfreundliches und unangebrachtes Verhalten bei mehreren Kollegen im Unternehmen an. Unwissend ob des Gegenübers vergreift er sich bei einem Kollegen welcher hohes Ansehen im Unternehmen genießt im Ton, basierend auf der Annahme sein Jobtitel bestätige seine rangliche Überlegenheit.
Der Kandidat zieht sich mehr und mehr in sein Projekt zurück, kommuniziert Status und Fortschritt nur noch widerwillig und entzieht sich dem Austausch mit Kollegen und Vorgesetzten.
Nachdem das Management keinen Zugang mehr zu dem Kandidaten findet, entscheidet es sich zur Kündigung innerhalb der Probezeit (ca. 4 Monate Beschäftigung).
Was war passiert?
Entgegen konkreter Empfehlungen wurde ein Mitarbeiter eingestellt
Hier hat sich das Management im Grunde, auf Personeller Ebene, gegen sein Unternehmen gestellt und dies auch noch durch die Gewährung spezieller Privilegien unterstrichen. Klarer kann man seinen Mitarbeitern die Vertrauensfrage nicht verneinen.
Die Tatsache, dass auch externe Meinungen unberücksichtigt bleiben, unterstreicht die Beratungsresistenz des Management.
Offensichtliches Fehlverhalten wurde toleriert
Der Kandidat hatte sich zu mehreren Begebenheiten inkorrekt verhalten, insbesondere auf den – bis heute unausgesprochenen und unformulierten – Verhaltens- und Moralkodex des Unternehmens bezogen. Gut zu erkennen, ist der Bottom-Up Ansatz, bei dem versucht wurde das eigene Verhalten erst den – vermeintlich – Untergebenen aufzuzwingen um gegenüber dem Management das Gesicht zu wahren. Erst durch einen Fehltritt erkennt das Management klar die Intentionen und agiert.
Fachliche Qualifikation wurde höher bewertet als personal fit
In diesem Fall hat das Management den Bedarf nach fachlicher Unterstützung höher bewertet, als den personellen fit. Das ist eine valide Entscheidung und aus Sicht des Management durchaus zu vertreten. Dies entscheidet nach Abwägung von Vor- und Nachteilen wie in jeder anderen Situation auch. In diesem Fall, war es offensichtlich eine Fehlentscheidung, in anderen kann diese Entscheidung durchaus richtig sein!
Das Koryphäen-Arschloch
Das Setting ist ein junges Unternehmen, ein Startup. Es ist gut finanziert, befindet sich gerade im Aufbau, hat große Ambitionen und hoch gesteckte Ziele. Um mit dem Produkt schnell an den Markt zu kommen, wird ein Team aus erfahrenen IT Kräften aufgestellt. Bei dem Team stellt sich schnell heraus, dass eine Führungskraft fehlt. Die beteiligten haben ihre einzelnen Fachbereiche gut im Griff, es fehlt jedoch an Seniorität und Erfahrung um das big picture abzudecken.
Über Wochen hinweg wird eine technische Führungskraft gesucht um diese Aufgabe zu übernehmen, das Team aufzubauen und anzuleiten. Diverse gute Kandidaten werden angesprochen doch alle sind bereits in Projekten und haben kein Interesse zu wechseln.
Eines Tages wird dem Team offenbahrt das ein Kandidat gefunden und eingestellt wurde. Die Überraschung ist ebenso groß wie die Fragezeichen: Wer ist der neue Boss?
Er wird als absolute Koryphae auf seinem Gebiet vorgestellt, einer der Besten den man im Feld bekommen kann. Bei den ersten Gesprächen wird klar, warum das Management diese Auffassung vertritt: Der Kandidat lebt sie und das Verständnis der Beste zu sein rinnt ihm aus jeder Pore. Zugegebenermaßen hat er nie im spezifischen Kontext des Unternehmens gearbeitet, ihm fehlt also jegliche Erfahrung, aber alle bisherigen Lösungen sind schlecht und können von ihm in einem Bruchteil der Zeit in optimaler Weise implementiert werden. Bedenken begegnet er mit polemischen Aussagen, kritische Nachfragen sind unerwünscht und werden daher nicht beantwortet. Der Kandidat wertet das bisherige Team als nicht geeignet und ein Teammitglied nach dem Anderen verlässt das Unternehmen.
Als der Kandidat einige Wochen später in das Unternehmen eintritt und den Bereich IT alleine verantwortet, ist er neben dem Produktmanagement der einzige in diesem Bereich. Die Entwicklung wird outgesourced und er kümmert sich um lokale IT, also Aufgaben wie Drucker anschließen und Internetanschluss einrichten.
Die Produktentwicklung gestaltet sich gut, das Produkt ist von guter Qualität und es geht zügig voran. Die Entwicklung startet jedoch bei Null, es dauert also etwa dieselbe Zeit das neue Produkt in einen stabilen Zustand zu bringen wie es dauerte die bisherige Lösung zu entwickeln. Ein großer Fortschritt ist also weder für das Management noch das bisherige Team zu sehen.
Gepaart mit den Versprechungen aus der nahen Vergangenheit, ein perfektes Produkt zu liefern und der Tatsache dass die Entwicklung zwar technisch große Fortschritte machte, dies aber im Produkt alles andere als ersichtlich wurde, stieg die Frustration im Management.
Der Druck auf den Kandidaten erhöhte sich und es kam zu Auseinandersetzungen mit dem Management und entsprechend auch mit den Mitarbeiten. Es wurde zeitweise laut und unangenehm. Die Kommunikation zwischen dem IT-verantwortlichen Gründer und dem Produkt-Team brach zu einem bestimmten Zeitpunkt vollkommen zusammen.
Der Kandidat verließ wenige Wochen später einvernehmlich das Unternehmen.
Was war passiert?
Ein team wurde Bottom-Up aufgebaut
In diesem Fall wurde das IT Team zuerst an der Basis aufgebaut, weil eine Führungskraft fehlte. Dies war im vorliegenden Fall nicht anders zu bewerkstelligen, offenbahrt aber sehr gut die Probleme welche dieser Ansatz mit sich bringt: Wird eine Führungskraft in ein bestehendes Team eingebaut, muss sie dieses Team kennen lernen und evaluieren. Gerade in Startups, ist das ein unnötiger Aufwand und wird oft zu Reibungsverlusten führen.
Ein Kandidat wurde ohne ausreichenden backgroundcheck und in Eile eingestellt
Im Vorliegenden Fall, wurde eine Führungskraft in ein bestehendes Team integriert, ohne bei diesem Rückfrage zu stellen und Feedback zum Kandidaten einzuholen. Hierbei spreche ich nicht von fachlichem Feedback, sondern Informationen zu sozialem- wie Company-fit. Zeitknappheit spielte hier definitv eine große Rolle, sodass diese Feedbackrunde übersprungen wurde, mit dem Ergebnis das der Kandidat trotz fehlendem Company-fit eingestellt wurde.
Außerdem treffen viele Punkte aus dem vorherigen Fall ebenfalls zu: Offensichtliches Fehlverhalten wurde toleriert und fachliche Qualifikation wurde höher bewertet als der personal fit.
Das nicht-Arschloch-Arschloch
…ist gar kein Arschloch, aber man nimmt es als solches wahr.
In meinem Fall, war das einer meiner ersten direkten Vorgesetzten, der sich oft arschig verhielt. Nachdem ich ihm das – wörtlich – sagte veränderte sich sein Verhalten leicht, aber nachhaltig mir gegenüber und später realisierte ich, dass es nur seine Art des Führungsstils war die mit meinem kollidierte. Kommunikation löste dieses Problem schnell, schmerzlos und nachhaltig.
Nur ganz kurz dazu: Wenn du das Gefühl hast, jemand ist arschig, sag ihm oder ihr das ruhig. Je nach persönlichem- und Machtverhältnis, ruhig genau mit diesen Worten.
Ich habe zwei Vorgesetzten gesagt, dass ich finde, sie verhalten sich wie ein Arschloch und ich habe beide Fälle überlebt, ungekündigt. Die Zusammenarbeit danach war von mehr gegenseitigem Respekt geprägt, verlief reibungsloser und stressfreier als davor.
Was ist der Arschlochfilter?
Was ist denn nun dieser Arschlochfilter und wo kann ich ihn kaufen?
Auch wenn das, was ich als den Arschlochfilter bezeichne leider kein Produkt ist, kann man in diesem Fall sehr wohl von einem Leitfaden sprechen, den man im Zweifel sehr einfach implementieren kann. Einige Punkte habe ich oben genannt, hier also nochmal eine Zusammenfassung:
- Kommuniziere! Mit dem Kandidaten, den Kollegen, den Mitarbeitern!
- Hole dir viel Feedback zum Kandidaten, vor und nach der Einstellung!
- Höre auf das Feedback, besonders von den eigenen Kollegen und Mitarbeitern!
- Bewerte persönlichen Fit höher als den fachlichen!
- Nimm dir Zeit bei der Personalsuche!
- Toleriere kein Fehlverhalten auf persönlicher Ebene!
- Agiere schnell, deutlich und transparent!
Hilfreich für die Umsetzung kann es sein, sich seiner Werte und Unternehmenskultur bewusst zu werden und diese schriftlich festzuhalten. Das kann in Form einer Auflistung von Leitwerten sein oder in einem mission statement.
Wie funktioniert der Arschlochfilter?
Zu obigen Beispielen stellen sich mir dazu zwei Fragen:
- Wie wurden die Arschlöcher identifiziert?
- Wie wurden sie nicht identifiziert?
Erstere Frage ist für mich in kurz und gut beantwortbar: Mitarbeiterkommunikation
Sowohl im ersten Fall, wo der Kandidat sich respektlos und überheblich gegenüber seinen Kollegen verhielt, wie auch im zweiten Fall, in dem sich der Kandidat diesen gegenüber im Ton und in der Art seiner Aussagen vergriff, waren die Mitarbeiter die Messstellen. Das unmissverständliche Feedback führte über die Zeit schnell dazu, dass beide Arschlöcher den Rückhalt im Unternehmen verloren und dieses verließen.
Nach der Einstellung, sollte man sich also regelmäßig Feedback über den neuen Mitarbeiter einholen.
Im Wikipedia Beitrag zu den ‚No asshole rules‘ kann man außerdem das dreckige Dutzend der unangenehmen Angewohnheiten von Arschlöchern nachlesen.
Wie die Arschlöcher nicht identifiziert wurden, ist ein bisschen schwieriger zu beantworten, aber der Schlüssel für Führungskräfte diesen Fehler nicht zu wiederholen:
Ein hervorragender Prädikator dafür, wie sich eine Person in Zukunft verhalten wird, ist herauszufinden wie sie sich in der Vergangenheit verhielt. Dazu ist es wichtig, möglichst viel Feedback einzuholen und abzugleichen. Es macht also Sinn, mit anderen Führungskräften über einen potentiellen Kandidaten zu sprechen. Ihn mit den Kollegen in Kontakt zu bringen, sei es HR oder Fachpersonal. Je mehr Informationen man bekommen kann, desto besser wird die Aussagefähigkeit der daraus zu ziehenden Schlüsse.
Hat der Arschlochfilter überhaupt funktioniert?
Wenn man sich obige Beispiele ansieht, könnte man den Eindruck bekommen, der Arschlochfilter habe gar nicht funktioniert. In beiden Fällen sind ja nunmal Arschlöcher im Unternehmen eingestellt worden und haben bestehende Mitarbeiter vertrieben, nicht wahr?
Die Antwort ist offensichtlich, aber man darf nicht übersehen dass beide Arschlöcher innerhalb kurzer Zeit entlassen wurden. Der Filter hat sie also identifiziert und das jeweilige Management hat entsprechend gehandelt.
Man könnte argumentieren, dass es zu spät war und das wäre aus meiner Sicht ein solides Argument. Man darf allerdings auch nicht vergessen, in welcher Situation sich das jeweilige Management befindet und dass es immer Entscheidungen aufgrund einer gewissen Situations- und Informationslage treffen muss. Manchmal sind diese Entscheidungen riskant und immer wird das Unternehmen mit den Konsequenzen leben müssen.
Fazit
Weil es darin etwas ausführlicher und objektiver / akademischer beschrieben ist, möchte ich hier nochmal das Buch Der Arschlochfaktor empfehlen, wirklich eine lohnenswerte Lektüre.
Wichtig ist aus meiner Sicht, dem Bauchgefühl zu vertrauen und dieses mit dem der Kollegen und Mitarbeite abzustimmen.
Meine Lieblings HR-Managerin hat mir nach einem langen und intensiven Bewerbungsprozess mit einem Potentiellen Kandidaten einmal gesagt:“Ist ein guter Kandidat, spricht nichts dagegen ihn einzustellen. Ob wir das machen, beantwortest du jetzt einfach mit dieser Frage: Hast du Lust jeden Tag mit ihm zu arbeiten?“
Wir haben ihn nicht eingestellt, wir haben es nie bereut und meine Bewerbungsprozesse sind danach schneller und besser geworden.
