Eine meiner Hauptaufgaben bei Beratungsmandaten und auch in meiner Zeit bei Rocket Internet war es IT Teams aufzubauen.
Begonnen hat diese Aufgabe mit einem kleinen IT Team für Rocket Internet in Berlin, welches das erste Team war das ich aufbauen und leiten durfte. Es ging darum, ein für die globale Expansion der E-Commerce Projekte gut positioniertes Team aufzubauen, strategisch zu positionieren und zu leiten. Ich selbst setzte mir für den Teamaufbau einen Zeitrahmen von sechs Monaten und die Aufgabe war in dieser Zeit auch durchaus erfüllbar.
Das stimmt natürlich nur teilweise, aber nach diesen sechs Monaten war für mich absehbar, dass mir diese Aufgabe allein nicht ausreichend Abwechslung bieten würde und so ging es für mich weiter in verschiedene Portfoliounternehmen um vor Ort Teams zu evaluieren, trainieren oder ggf. aufzubauen. Was sich nach der gleichen Aufgabe anhört, wird durch die kulturellen und vielen weiteren Unterschiede schnell zu einer vollkommen neuen Herausforderung.
Besondere Aufmerksamkeit haben beim Teamaufbau natürlich die Führungskräfte. Was eine gute Führungskraft ausmacht, wird in vielen Texten in diesem Themenkontext beschrieben, sodass ich hierauf in diesem Artikel nicht ausschweifend eingehen möchte.
Generelle Eigenschaften
Dennoch möchte ich die, für mich, wichtigen Eigenschaften eines Leaders kurz auflisten.
Fachliche Expertise
Eine Führungskraft muss ausreichend fachliche Expertise mitbringen, sollte also einschlägige Berufserfahrung und einen track record oder ein Studium im Bereich seiner tatsächlichen Tätigkeit vorweisen können. Oft wird Expertise mit Intelligenz verwechselt, worauf ich später noch eingehen möchte.
Erfahrung
Wenn jemand ein Team von Menschen anleiten soll, hilft persönliche Reife ebenso wie fachliche dabei, eine starke Kompetenz und Sicherheit auszustrahlen. Wissen ist an dieser Stelle wichtig und notwendig. Eine Führungskraft muss zwei Arten von Erfahrung mitbringen, die im Umgang mit den Tätigkeiten in seinem Fachgebiet und die im Umgang mit Menschen. Letztere wird – insbesondere in jungen Technologieunternehmen – oft vernachlässigt.
Softskills
Oft besprochen und mehr als ausreichend propagiert. Softskills werden heute an jeder Universität gelehrt, große Unternehmen schicken ihre angehenden Führungskräfte zu entsprechenden Seminaren. Startups haben hierfür nicht die Mittel, der Kandidat muss diese Fähigkeiten also schon mitbringen. Es reicht allerdings nicht, den Recruiter diesen Bereich abdecken zu lassen. Der sicherste Indikator für gute softskills sind Gespräche mit dem Team.
Charaktereigenschaften
Wenn ein Kandidat oder eine Kandidatin diese Eigenschaften mitbringt, ist das schon einmal die halbe Miete. Nun ist es relativ leicht, diese Kandidaten zu identifizieren und zu finden. Jeder halbwegs gute Recruiter wird ein Dutzend Lebensläufe innerhalb weniger Stunden ansammeln können. Wie finde ich nun aber den oder diejenige Kandidatin für mein junges Unternehmen? Aus meiner Sicht sind folgende Charaktereigenschaften für die Arbeit im Startup-Umfeld unerlässlich:
Hungry
Der Kandidat muss hungrig sein. Er muss mehr wollen, als er derzeit hat: Verantwortung, Wachstum und Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Ein häufig gemachter Fehler ist es, einfach nach sehr erfahrenen Kandidaten zu suchen, die bereits ein oder mehrere Teams aufgebaut haben, also einen track record haben. Für große Unternehmen, die Manager suchen, ist das erfolgsversprechend. Sie können diesen Kandidaten bieten was sie suchen: Weniger Stress, mehr Gehalt, mehr Annehmlichkeiten.
Ein Startup kann dies nicht und es braucht / will auch keinen Manager. Es braucht einen hemdsärmeligen Handwerker. Einen der schonmal ein Haus gebaut hat, aber immer noch Lust hat Hammer und Kelle in die Hand zu nehmen um noch eines zu bauen. Diesmal sein eigenes: Größer, schöner und besser als die an denen er nur mitwirken durfte!
Eine der großen Stärken der erfolgreichsten Inkubatoren und Startups die ich betreut habe, war und ist es Führungskräfte zu identifizieren bevor sie tatsächlich welche wurden.
Thriving
Die richtige Führungskraft für ein junges Unternehmen ist intrinsisch angebtrieben und motiviert, das heißt er / sie hat eine eigene Agenda zum Erfolg. Diese sollte sich idealerweise mit der des Unternehmens decken, was nicht unbedingt sein muss, aber durchaus hilft. Ist eine potentielle Führungskraft bspw. darauf aus Wissen aufzubauen um ein eigenes Unternehmen zu gründen, so kann dies ein Synergieeffekt sein der sich sowohl positiv als auch negativ auswirken kann. Hier hilft Transparenz, sowohl im Einstellungs- wie auch im späteren Arbeitsverhältnis.
Die Top Inkubatoren agieren hier bspw. wie die Top Management-Beratungen: Sie wissen, das 80% der Kandidaten nur zwei Jahre bleiben um Wissen aufzubauen und diese Agenda ist offen und transparent. Im Gegenzug erwarten die Arbeitgeber einen entsprechenden Arbeitseinsatz und alle Beteiligten sind zufrieden.
Attitude
Die richtige Einstellung zu Projekt, Mitarbeitern, sozialem und unternehmerischen Umfeld und zum Beruf ist ein wichtiger Faktor für den nachhaltigen Erfolg einer Führungskraft. Die grundlegende Einstellung wird sich immer dann offenbaren wenn das Projekt in unruhige Phasen kommt, wenn Fehlentscheidungen getroffen werden und wenn Kritik aufkommt. Die richtige Einstellung ist offensichtlich die, die Lösungsorientiert ist und versucht das Projekt voran zu bringen. Die Falsche ist jede, die in eine andere Richtung steuert.
Der Arschloch-Filter
Ich habe es in zwei Projekten erlebt und bin bis zum heutigen Tage begeistert: Es gibt in unserer Branche einen Arschloch-Filter und der funktioniert ganz fantastisch.
In beiden Projekten wurde, entgegen der Empfehlung des jeweils leitenden IT Verantwortlichen, jeweils eine Führungskraft projektbasiert eingestellt. Beide Führungskräfte zeichneten sich durch große fachliche Expertise und geringe soziale Kompetenz aus. Beide haben die jeweiligen Unternehmen in kurzer Zeit (3-6 Monate) viel Geld, Nerven und am Ende gute Mitarbeiter gekostet.
Einstellungsprozess
Wenn ich nun also einen geeigneten Lebenslauf vorliegen und eine zufriedenstellende erste Kontaktaufnahme oder sogar schon ein persönliches und fachliches Interview durchgeführt habe: Wie bekomme ich sie oder ihn nun dazu, auch wirklich in mein Unternehmen einzusteigen?
Beidseitiges Interesse
Sollte sich ein idealer Kandidat gefunden haben, läuft es wie bei einem guten Flirt: Das Interesse muss beidseitig sein.
Man sollte auf keinen Fall versuchen einen vermeintlich perfekten Kandidaten an sich zu binden indem man ausschweifende finanzielle oder sonstige Angebote ausspricht.
Motivation
Die finanzielle Vergütung ist ein zunehmend unwichtiger Faktor, zumindest für den Bewerber. Die Gehälter in der IT sind sehr hoch und das Angebot an Arbeitsplätzen ist enorm.
Wichtig ist, herauszufinden was dem Gegenüber wichtig ist und wie es sich mit den eigenen Werten und Zielen vereinbaren lässt. Teilzeitregelung ist heute für viele Kandidaten ein interessantes Model, genauso wie Homeoffice-Regelungen. Technisch orientierte Kandidaten wollen Freiheiten haben ihre Fähigkeiten auszubauen und kulturell ambitionierte Menschen werden sich über ein internationales Umfeld freuen.
Vor zehn Jahren reichte es, einen Kicker in der Küche aufzubauen und die Anzugpflicht abzuschaffen. Die Top-Kandidaten von heute sind verwöhnt und wollen vor allem eines: Lebensqualität
Finde heraus, was dies für deine Kandidatin bedeutet und überlege dir, ob es sich mit deinen Zielen und Werten vereinbaren lässt.
AAA
Drei mal A, das sind die besten Kandidaten im Recruiting. Die Rudelführer, mit den Lebensläufen aus Elfenbein und dem IQ eines Sheldon Cooper. High potentials.
Für viele Unternehmen sind die Stereotypen klar: Business school, Praktikum bei Beratung und Investmentbank, Excel-Rockstar. Es gibt sie zu dutzenden, jedes Unternehmen hat ausreichend und sie sind leicht zu identifizieren.
In der IT ist das nicht anders und der Effekt, ist ebenfalls der Gleiche: Die Guten wollen mit den Besten arbeiten, sich nach oben orientieren, von denen lernen die mehr können und es bereits bewiesen haben. Jedem Menschen geht es so und dies sollte man berücksichtigen.
Die Devise beim Teamaufbau ist: Top-down, erst die Führungskräfte und diese bauen dann ihre Teams auf.
Fazit
Auf den Punkt gebracht, hier also meine Kurzanleitung um gute Führungskräfte für dein junges Unternehmen / Inkubator / Accelerator zu finden:
- Suche zuerst in deinem persönlichen sozialem Netzwerk, erst wenn sich dort niemand findet solltest du Kandidaten kalt über die üblichen Kanäle anschreiben (Xing, LinkedIN)
- Die besten Kandidaten wirst du in Ähnlichem Umfeld finden, suche dir also deine Mitbewerber am Markt heraus und sprich deren Führungskräfte an. Selbst wenn du sie nicht einstellst, wirst du auf jeden Fall einen wichtigen Informationsvorsprung einfahren!
- Achte auf fachliche Expertise, Erfahrung und Softskills. Bewerte Softskills mit Abstand am höchsten (60%), danach die Expertise (30-40%) und Erfahrung ist für mich fast optional (0-10%). Softskills und Expertise müssen jeweils K.O. Kriterien sein!
- Achte darauf, dass der Kandidat / die Kandidatin hungrig ist, intrinsisch motiviert und mit der richtigen Einstellung an die neue Aufgabe herantritt. Versuche herauszufinden, was dein Gegenüber wirklich will und stelle sicher, dass dies mit deinen Werten und Erwartungen übereinstimmt!
- Baue dein Unternehmen von oben nach unten auf, d.h. stelle keinen Buchhalter ohne CFO ein. Keinen Entwickler ohne CTO. Gute Leute wollen für die besten Leute arbeiten, achte auf Führungskräfte die Menschen anziehen.
- Benutze den Arschlochfilter!
[…] Unternehmen, die Finanzierung steht und die Pläne sind gemacht. Du hast vielleicht schon deine Führungskräfte zusammengesucht und nun geht es darum Mitarbeiter […]
Vielen Dank für den guten Artikel! Sehr hilfreich und leicht nachzuvollziehen.